Die „Kumpelschiene“ - besser als einsam?

Was bedeutet „Kumpelschiene“? Es bedeutet, dass zwei Personen sich in einer engen emotionalen Verbindung befinden aber ohne Erotik, wobei einer von beiden sich mehr wünscht. Es entsteht Nähe, Vertrauen, mit tiefen Gesprächen, mitunter sehr viel gemeinsam verbrachter Zeit. Man ist ein „guter Kumpel“, ein enger Freund, sowas wie ein Bruder oder eine Schwester, man teilt vieles miteinander, auch tiefe Gefühle aber nicht das Bett. Oder wenn, dann nur platonisch.

Ist man erst einmal auf dieser „Schiene“ gelandet, ist es meistens sehr schwer oder unmöglich auf ein anderes Gleis zu wechseln. Es bleibt bei Freundschaft und wechselt nicht zur Erotik. Das kann wunderbar entspannend sein, wenn beide das so wollen (deshalb haben manche Frauen homosexuelle beste Freunde).

Die Problematik der „Kumpelschiene“ entsteht jedoch, wenn sie einseitig nur für eine der beiden Personen vollkommen in Ordnung ist, denn sie fühlt keine sexuelle Anziehung. Die andere hofft über Wochen, Monate, manchmal Jahre, dass man früher oder später doch noch ein Liebespaar werden könnte, in einer wirklichen Partnerschaft landen würde. Vermutet, sie müsste nur ein bisschen warten, ein bisschen Geduld haben, verständnisvoll sein, lieb und nett und allzeit bereit. Das mit dem wilden Sex, das wird schon noch kommen. Irgendwann wird es dem „Kumpel“, der „Kumpeline“ schon auffallen, dass man auch sexuell hervorragend zusammen passt. Die Zeit vergeht.

Was hier so flapsig klingt ist eine ernste Angelegenheit. Denn es geht um tiefe emotionale Verletzungen, die entstehen können. Es geht um Wut, wenn das doch nicht passiert, was man erhofft. Angst vor Einsamkeit. Trauer über verpasste Chancen. Selbsthass, dass man es nicht schafft, den anderen erotisch zu erobern, der einen sonst doch so sehr mag. Es geht um Leiden, still für sich allein. Das schlimmste, was passieren kann, ist dass der „Kumpel“, die „Kumpeline“ sich irgendwann für eine(n) andere(n) entscheidet. Was meistens früher oder später dann auch passiert! Und dass das mit dem Sex mit dem neuen Menschen plötzlich gar kein Problem mehr ist.

Marcus (32)

war zu Beginn des Coachings von tiefem Hass erfüllt auf seine Ex-Freundin, fühlte sich von ihr hingehalten und ausgenutzt. Er hatte zwei Jahre lang gewartet, alles für sie getan. Plötzlich war da ein anderer, mit dem alles reibungslos zu klappen schien, was mit ihm  stets ein Problem war. Zur Wut auf die Ex-Freundin kam der Selbsthass: „Ich hab’s nicht geschafft, sie zu erobern. Ich war nicht gut genug. Das andere ist besser. Was habe ich falsch gemacht?“, fragte es sich. Wie konnte es sein, dass er so lange ausgehalten hat? So lange hoffte, dass mit der Zeit eine Liebesbeziehung entstehen würde? Hatte sie ihm doch von Anfang an mitgeteilt, dass sie keinen Partner suche und auch keine Sexualität wünsche, „Nur Freundschaft!“ Dennoch sahen sie sich oft, manchmal mehrmals die Woche. Schrieben mehrmals täglich WhatsApps. Sie sprach von ihren Problemen mit Familie oder Job. Sie lagen gemeinsam vor dem Fernseher. Er durfte sie streicheln und massieren, war stets aufmerksam und hilfsbereit. Half beim Umzug, renovierte die Wohnung.  Sie selbst berührte ihn leider nie. So vergingen zwei Jahre. Plötzlich hatte sie einen Freund, „Ich dachte, du freust dich für mich“. Er fühlte sich betrogen und abserviert. Er klagte, wie soll ich nach so einem Erlebnis jemals wieder einer Frau vertrauen? Mich jemals wieder öffnen können für Nähe und Intimität?

Was war falsch gelaufen?

Marcus hatte noch keine Erfahrung mit Beziehung und Sexualität. Deshalb ging er davon aus, je lieber und je kompromissbereiter er sein würde, desto höher wären seine Chancen auf eine Liebesbeziehung. Er schien damit ja auch Glück zu haben, denn sie verließ ihn nicht, sie blieb. Es schien ihm, als ob ihre Verbindung immer enger und immer tiefer wurde. Sie wollte zwar keine Erotik, aber es entstand inniger Körperkontakt beim Beieinanderliegen, Umarmen. Eine emotionale Beziehung entstand sehr wohl, wenn auch keine erotische Beziehung. Der Körper gehörte nicht dazu,  aber die Seele schon. Und das war es, was ihn hielt. Die emotionale Beziehung fühlte sich unglaublich befriedigend an, so etwas hatte er noch nie erlebt. Noch nie zuvor war er einem anderen Menschen so nahe gekommen. Obwohl er nur 50 % von dem erhielt was er sich wünschte, waren das immerhin 50% weniger Einsamkeit. Woher sollte er wissen, dass die Regeln andere sind? Er ging ganz selbstverständlich davon aus, wenn ich lieb und nett bin, dann werde ich sie im Laufe der Zeit erobern. Auch wenn es lange dauern sollte.

Ich muss es an dieser Stelle ganz klar sagen, „später“ ändert sich in der Regel nichts. Die Weichen, wohin der Zug fahren wird, werden fast immer ganz zu Anfang gestellt.

Deshalb ist es wichtig, ganz von Anfang an immer wieder „zu testen“, wie weit man gehen kann.  Ob daraus eine Partnerschaft entstehen kann, wie man sie sich wünscht - oder auch nicht. Dann kann man sich entweder trennen oder auch ganz bewusst die Entscheidung treffen, in einer platonischen Freundschaft zu bleiben und gleichzeitig für weitere Kontakte offen bleiben. Wenn es einem Mann/ einer Frau bewusst geworden ist, dass die „Kumpelschiene“ nicht genügt für das weitere Leben und er/ sie das ganz klar kommuniziert, wird es leichter sich zu lösen und weiter zu gehen.

Ganz zu Anfang eines Kennenlernens entscheidet sich meistens ziemlich schnell ob gegenseitige sexuelle Anziehung entsteht oder nicht. Falls ja, werden beide Menschen alle Gelegenheiten nutzen, dem Körper des anderen nahe zu kommen. Wenn man jemanden kennen lernt, entsteht ein ununterbrochener Austausch von Zeichen. Man kennt ja das Gegenüber zunächst noch nicht. Man steht, sitzt sich gegenüber, weil man sich nett, sympathisch, anziehend findet. Und nun geht es darum, diesem äußeren Bild ein Inneres folgen zu lassen. Die Vorstellung voneinander zu erweitern. Könnte man zueinander passen?

Zum einen ist da die Ebene des Wortes. Worte werden ausgetauscht um die eigene Person zu kreieren. Das was ich dem Gegenüber mitteile, dringt in seine Ohren. Was teile ich mit? Ich erschaffe ein Bild von mir. Ich höre selbst, was der andere sagt, ich erhalte eine Vorstellung über diese Person. Das Bild wird dichter.

Zum anderen ist da der Körper. Und der ist äußerst wichtig, wenn ich eine Liebesbeziehung anstrebe. Ich werde feststellen, an der Resonanz meines eigenen Körpers, werde ich vom Gegenüber erregt? Fühlt es sich ein bisschen bizzelig an im Unterleib? Werde ich ein bisschen aufgeregt? Bekomme ich vielleicht rote Ohren, Wangen? Wird mir wortwörtlich heiß? Wünsche ich mir, dem anderen näher zu kommen? Ihn zu berühren? Zu küssen? Erotische Dinge mit ihm oder ihr zu treiben? Nur mal seinen Arm berühren?

Wenn ich mir das nicht vorstellen kann, wenn sich gar nichts regt bei mir, dann wird vielleicht eine wunderbare platonische Freundschaft daraus. Sehr gut! Das sollte ich dann auch ganz klar kommunizieren, wenn ich im Laufe der Zeit spüre, der andere will mehr.

Es liegt in der eigenen Verantwortung, sich deutlich zu machen.

Beim „Ja“ genauso wie beim „Nein“.

Sexualität ist ja eine körperliche Angelegenheit. Deshalb darf man prüfen, ob der eigene und der andere Körper das will. Eine kurze Berührung zum Beispiel auf den Unterarm während des Sprechens, gibt viele Erkenntnisse: ich selbst spüre: fühlt sich das nach „Ich will mehr“ an oder eher nach „Och nö“? Und ich gebe damit dem Gegenüber ganz wichtige Zeichen: „Ich will mehr von dir! Ich hätte gerne mehr Hautkontakt zu deinem Körper.“ Das Gegenüber kann nun seinerseits reagieren mit Rückzug (der Arm verschwindet vom Tisch plus: „Upps, mir fällt gerade ein, ich habe noch einen Termin“) oder mit Entgegenkommen. Der Arm rückt näher, der Körper rückt näher, der Mund lächelt. Neutralität des anderen ist auch ein Signal. Probieren Sie es später behutsam noch einmal. Vielleicht traut er/sie sich noch nicht, ihnen entgegen zu kommen. Vielleicht kann er/sie noch nicht deuten, wie Sie es meinten mit der Annäherung. War das jetzt ein Signal von  Ihnen oder ein zufälliger Kontakt ohne Absicht? Dieses Spiel braucht man nicht beim allerersten Kennenlernen ausprobieren – aber bald danach. So beim dritten, vierten Date sollte man schon Körperkontakt einfließen lassen. Damit beide prüfen können, wohin die Reise geht.

Das was ich hier schreibe gilt in der Regel für Männer. Die Männer sind in unserem Kulturkreis die Vorwärtsgeher. Die, welche die Frauen erobern sollen. Die, welche (leider) lernen müssen, sich „Körbe“ abzuholen um trotzdem, auch beim nächsten Versuch, wieder frisch und fröhlich vorwärts zu gehen. Frauen berühren in der Regel seltener, aber sie haben die wunderbaren Kommunikationsmittel Körpersprache, Blick, Tonlage um dem Mann zu zeigen, ich bin eine Frau, ich erkenne dich als Mann, ich will mehr.

Für Marcus...

dauerte es seine Zeit - mit regelmäßigem Coaching - bis er wieder selbstbewusst auf beiden Beinen stand. Dann war er so weit und lernte prompt eine wunderbare Frau kennen. Diesmal gab er von vorherein Gas. Und auch wenn es sich für ihn zunächst komisch und ungewohnt anfühlte, zeigte er sich diesmal als Mann und nicht als lieber Bruder. Das wirkte.

Mein Ratschlag

Sehr bald nach dem Kennenlernen sollte abgeklärt werden, wohin die Reise geht. Das kann man gerne auch besprechen. „Du, ich stelle mir vor … Wie ist das denn bei dir?“ Machen Sie sich deutlich! Es liegt in Ihrer eigenen Verantwortung. Sagen Sie, was Sie sich wünschen. Gehen Sie vorwärts. Wenn nicht das Richtige dabei heraus kommt, gibt es garantiert eine Person, die besser passt. Wollen Sie trotzdem auf der „Kumpelschiene“ bleiben, ist es vollkommen in Ordnung, denn es ist diesmal Ihre bewusste Entscheidung!

Finden Sie Ihren eigenen, individuellen Lebensweg!

Ihre Monika Büchner