Wege zur Kontrolle – Methoden und Übungen

Teil 1

Bevor ich später in diesem Kapitel über meine Erfahrungen in der Praxis zu sprechen komme, möchte ich einen Überblick über die gängigsten Methoden zur Behandlung von EP geben.

Die gängisten Methoden

Die Stopp-Start-Technik und der „Point of no Return“: Wird die Erregung des Mannes immer weiter gesteigert, reagiert der Körper mit dem Ejakulations-Reflex. Ist dieser einmal ausgelöst, kann er nicht mehr willentlich gestoppt werden. Der Mann fühlt, dass er kommt, aber der „Point of no Return“ ist überschritten. Die Muskulatur des Samenleiters, der Samenblase, der Schwellkörper und des Beckenbodens kontrahiert rhythmisch, das Sperma wird stoßweise durch die Harnröhre aus dem Penis herausgeschleudert.

Bei der Stopp-Start-Technik geht es darum, den „Point of no Return“ immer besser fühlen zu lernen, um Kontrolle über den Ejakulationsvorgang aufzubauen. Während der Selbstbefriedigung wird geübt, den Punkt immer genauer anzusteuern, diesem immer näherzukommen, indem die Stimulation kurz vor Erreichen gestoppt oder verlangsamt wird. Wird dadurch im Laufe der Zeit mehr Kontrolle aufgebaut, kann die Stopp-Start-Technik auch beim Geschlechtsverkehr angewendet werden.
Wichtig: Sollte es einem Mann nicht möglich sein, zu lernen, sich während der Selbstbefriedigung zu kontrollieren, dann könnte es sich eventuell um eine angeborene Form der EP handeln. Ein Urologe sollte daher zusätzlich zu Rate gezogen werden.

Die Squeeze-Technik: Bei dieser Technik nimmt der Mann seinen Penis zwischen Daumen und Zeigefinger. Der Zeigefinger liegt dabei auf dem Frenulum (dem Bändchen auf der hinteren Seite des Penis) und der Daumen auf dem Rand zwischen Eichel und Stamm. Der Penis wird, bei hoher Erregung, kurz und fest zusammengedrückt, also „gequetscht“, damit die Erregung etwas absinken kann. Dann wird mit der Stimulation fortgefahren. Oder der Penis wird kurz aus der Scheide gezogen, „gequetscht“ und dann wieder eingeführt. Die Squeeze-Technik wurde von Masters & Johnson in den 1960er-Jahren empfohlen, heutzutage ist sie etwas veraltet und scheint mir in der Anwendung eher unerotisch zu sein. Jedenfalls kenne ich niemanden, der sie wirklich anwendet.

Anästhesieren: Es gibt Salben (oder Sprays), die eine lokale Betäubung der Haut bewirken. Die Salbe wird dabei auf die Eichel aufgetragen, die dadurch weniger reizempfindlich reagiert. Bei einer Anwendung während der Penetration ist es notwendig, ein Kondom zu verwenden, da sonst die Vagina mitbetäubt wird. Es empfiehlt sich, die Wirkung bei der Selbstbefriedigung zu testen, um die richtige Dosierung herauszufinden. Ob das eine Lösung ist oder zu einer Lösung beitragen kann, hängt vom Einzelfall ab, je nach Ursache der EP. Ich würde in jedem Fall mit meinem Arzt oder meiner Ärztin darüber sprechen, bevor ich solch eine Salbe oder Spray anwende.

Serotonin-Wiederaufnahmehemmer: Es gibt seit 2009 ein verschreibungspflichtiges Medikament mit dem Wirkstoff Dapoxetin, welches bei Bedarf eingenommen wird. Das Medikament moduliert den ejakulatorischen Reflex und soll helfen, die Ejakulation zu steuern bzw. zu verzögern. Da ich weder Ärztin bin noch die Wirkungsweise des Medikamentes bei Klienten beobachten konnte, möchte ich dazu nichts Weiteres sagen. Bei Interesse fragen Sie ihren Urologen.

Beckenbodentraining: Es ist hier, wie auch im Allgemeinen, von Vorteil, Bewusstsein für seinen Beckenboden aufzubauen. Denn ein geschultes Gespür für die Vorgänge im Unterleib bildet eine gute Unterstützung beim Auflösen von sexuellen Funktionsstörungen. Fitnesstraining oder Pilates sind meines Erachtens leider wenig geeignet, um die eigene Wahrnehmung zu erweitern, denn sie fokussieren auf Kraft und Anspannung. Besser geeignet sind Methoden wie zum Beispiel Feldenkrais. Auch gibt es, wenn auch wenige, Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen, die auf den Beckenboden des Mannes spezialisiert sind.

Das Selbst-Regulierungs-Programm SRP: Ich arbeite bevorzugt mit dem von mir konzipierten Selbst-Regulierungs-Programm. Zu dem gehört, Wissen zu erhalten, Körperbewusstsein zu entwickeln, Techniken für entspannendes Atmen zu verinnerlichen, den Beckenboden wahrnehmen zu lernen, Sensibilität für das Geschlechtsorgan herzustellen, all das um Kontrolle über die Ejakulation zu erlangen. Das bedeutet, wir gehen sowohl auf psychische Vorgänge ein als auch stark auf die Funktionsweisen des Körpers und seine Entwicklungsmöglichkeiten. Dazu gehörige Übungen werde ich im Laufe des Kapitels vorstellen.

Paartherapie

Masters & Johnson, zwei bekannte amerikanische Sexualforscher, entwickelten in den 1950er- und 1960er-Jahren ein Programm für Paare, um sexuelle Probleme, darunter auch die frühzeitige Ejakulation, aufzulösen. Sie erkannten, das Problem des einen ist immer auch das Problem des anderen, deshalb können es die Betroffenen am besten zu zweit auflösen. Sie hatten sensationelle Erfolge, auch weil ihre Klienten damals wenig Wissen über sexuelle Vorgänge hatten und es einen enormen Nachholbedarf gab. Die Arbeit mit dem Paar sollte jedenfalls, wenn immer es möglich ist, ein Bestandteil der Behandlung von EP sein.

Auch in der Arbeit als Paar beginnt es damit, sich körperlich besser kennenzulernen und durch Berührungen Vertrauen aufzubauen. Dazu kommt dann das Lernen einer positiven Kommunikation in der Partnerschaft. Sind beide Partner kooperativ und ein gutes Team, können Erfolge schnell eintreten. Umgekehrt werden sexuelle Probleme häufig verstärkt, wenn die Kommunikation nicht gelingen will. Hier wäre eine grundlegende Paartherapie von Vorteil, um alte Muster aufzulösen und neue, bessere zu finden.

Selbstregulation und Kooperation

Es gibt zwei große Baustellen bei der Behandlung von EP, über welche betroffene Männer – und am besten auch ihre Partnerinnen – Bescheid wissen sollten. Das eine ist die Fähigkeit zur Selbstregulation. Wie kann der Mann Kontrolle über seinen eigenen Körper gewinnen? Denn es geht nicht darum, den Ejakulationsimpuls zu unterdrücken, sondern zu lernen, ihn liebevoll zu „zähmen“. Das andere ist die Selbstbehauptung in der Partnerschaft. Wie kann Kooperation beim Sex gelingen?

Allmählich Kontrolle aufbauen

„Normal“ ist, dass der Mann bei einer Penetration mit Bewegung nach circa ein, zwei oder drei Minuten spürt: Wenn ich so weitermache, dann komme ich. Er kann sich dafür entscheiden, sich langsamer zu bewegen oder zu stoppen, um die Erregung etwas zu senken. Oder er bewegt sich schneller, um lustvoll zu ejakulieren. Er hat es in der Regel nicht in der Hand, sich zügig und kraftvoll weiter zu bewegen und dennoch nicht zu kommen. Denn wenn die Erregung fortwährend gesteigert wird, dann „entlädt“ sich der Körper, unabhängig davon, was der Kopf dazu sagt. Das ist so, als würde ein Topf mit Deckel voller Wasser auf dem Herd stehen. Bei voller Hitze wird irgendwann das Wasser kochen, Dampf austreten und der Deckel scheppern. Will ich nicht, dass der Deckel scheppert, dann muss ich den Strom ein wenig runterdrehen. Wenn es nicht scheppern und der Deckel abheben soll, brauche ich Kontrolle über die Stromzufuhr.

Um die Erregung kontrolliert zu senken, ist es von Vorteil, zunächst einmal die Geschwindigkeit aus der Penetration zu nehmen. Sich viel langsamer zu bewegen oder auch mal ganz zu stoppen, ohne die sexuelle Energie aus dem Spiel zu nehmen, das kann für Frauen außerordentlich lustvoll sein. Eine weitere Möglichkeit ist, die Wahrnehmung auf andere Körperempfindungen zu lenken. Zum Beispiel die Bewegung zu stoppen oder zu verlangsamen und sich umfasst zu halten, zu streicheln oder zu küssen. Damit wird die Reizkonzentration vom Geschlechtsorgan weggenommen und auf die Hautoberfläche gelenkt.

Es ist daher wichtig, zu erkennen: Was steigert die Erregung? Und was senkt die Erregung? Gesteigert wird die Erregung vor allem in der Bewegung. Gesenkt wird Erregung bei Konzentration auf Berührungen oder in der Langsamkeit.

Stellungen mit wenig oder viel Kontrolle

Die geringste Kontrolle hat der Mann, wenn er sich in der Missionarsstellung zügig bewegt und die Unterarme aufstützt. Denn der ganze Körper arbeitet, die Muskeln im Oberkörper, in den Armen, Po, Oberschenkeln und vor allem im Beckenboden sind angespannt. In dieser Stellung ist es am schwierigsten, den eigenen Körper zu spüren und zu kontrollieren. Wenn ein Mann mit Kraft und Geschwindigkeit penetriert, kommt er in der Regel ziemlich zügig, manchmal innerhalb der ersten ein bis zwei Minuten. Drei Minuten wären schon lange durchgehalten. Andere Stellungen sind viel besser geeignet, um zu entspannen. Zum Beispiel, wenn der Mann auf dem Rücken liegt. Oder beide auf der Seite.

Von der Erregung zur Selbst-Regulation

Für die meisten Männer ist es leicht, in Erregung zu kommen und einen Orgasmus zu erreichen. Gerade für junge Männer, die eine hohe Testosteronkonzentration aufweisen, ist es manchmal geradezu eine Herausforderung, nicht ständig erregt zu sein.

Henry (22) berichtete, dass es für ihn ungeheuren Stress bedeuten würde, ins Schwimmbad zu gehen. Er erinnere sich an einen Vorfall, bei dem sich eine sehr gut aussehende Frau in seine Nähe legte. Er lag auf dem Bauch auf seinem Badehandtuch. Sie zwei Meter weiter auf dem Rücken. Wenn er aufschaute, blickte er genau zwischen ihre aufgestellten Beine. Er bekam eine riesige Erektion, begann zu schwitzen. Fürchtete, dass man ihm die Erregung ansehen könnte. Er presste den Kopf aufs Handtuch und versuchte, entspannt zu atmen. Dabei fühlte er, wie sein Geschlecht gegen das Badehandtuch pochte. Er war über alle Maßen froh, als sie endlich aufstand und ins Wasser ging. Sobald er dazu in der Lage war, raffte er seine Sachen zusammen und floh. Er ergänzte, gerade heutzutage, wo manche Frauen sich von jedem Blick belästigt fühlten, wäre es ja ein Skandal gewesen, wenn sie gemerkt hätte, dass sein Penis reagierte.

Bei Männern sieht man die Erregung sehr deutlich, bei Frauen so gut wie nicht. Zum richtigen Zeitpunkt ist das ein Segen und ein Kompliment für die Frauen aber auch ein Fluch, wenn es der falsche Zeitpunkt ist. Der Umgang mit Erregung ist für einen Mann manchmal nicht nur lustvoll, sondern auch mit viel Stress verbunden.

(Der Artikel ist meinem Buch entnommen: Endlich guter Sex (2021), Seiten 53-59)

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