Wege zur Kontrolle – Methoden und Übungen

Teil 2: Praktische Übung

In Teil 1 haben wir uns mit den gängigsten Methoden zur Behandlung von EP beschäftigt. Hier findest du eine detaillierte Anleitung für eine wirksame Übung, mit der du Selbstregulation in der Praxis erlernen kannst.

Körperbewusstsein und Selbstregulation intensiv üben

Auch die Selbstbefriedigung ist oft nicht nur lustvoll. In manchen Kulturkreisen gilt es als Sünde, zu masturbieren. Viele Männer sind bewusst oder unbewusst damit aufgewachsen, dass es „eigentlich“ etwas Schlechtes oder „Unmännliches“ ist, sich mit dem eigenen Körper näher zu beschäftigen. Es wurde sich aber dennoch mit ihm beschäftigt, allerdings sehr oberflächlich. Heimlich unter der Bettdecke. Oder schnell auf der Toilette. Bei einigen Männern ist das auch im Erwachsenenalter noch so. Es wird sich schnell befriedigt, der ganze Fokus wird auf die Ejakulation gelenkt und kaum auf die gesamten Körperempfindungen, auf dem Weg von der ersten Erregung bis hin zum Orgasmus. Der Penis wird konsequent, Tag für Tag auf schnelles Ejakulieren trainiert. Wird das Geschlechtsorgan so programmiert, dann wird es im Kontakt mit einer Frau selbstverständlich auch nicht anders reagieren, als schnell zu kommen.

Viel zielführender ist es, den eigenen Körper zunächst einmal von oben bis unten kennenzulernen. Was ist das denn für ein Körper, und was kann er fühlen? Wie fühlt es sich an, den eigenen Körper mit den eigenen Händen zu berühren? Wie fühlen sich die eigenen Hände an? Ich bin doch nicht schwul oder was, könnte manch ein Mann sagen. Damit hat das jedoch gar nichts zu tun.

Daher haben die meisten Männer auch Selbst-Regulation nie gelernt. Das ist eine Tatsache, kein Vorwurf. Selbst-Regulation bedeutet, sich zunächst einmal sinnlich wahrzunehmen und nicht nur das Ejakulationsprogramm wie ein Automat abzuspielen. Was bedeutet hier wahrnehmen? Der Körper ist ungeheuer sensibel, die Haut ist in der Lage, sogar winzige Fliegenbeinchen, die darüber krabbeln, zu spüren. Die Haut hat ungeheuer viele Möglichkeiten zu empfinden. Dies wahrzunehmen, das Empfinden mit Ejakulation zu verbinden, ist die Zauberformel.

Das Selbst-Regulierungs-Programm SRP für Männer
Eine Anleitung

Legen Sie sich nackt auf den Rücken. Gleiten Sie mit ihren Handflächen über ihren Körper. Was spüren Sie? Wie fühlt sich das an? Wie fühlt sich die Haut an, über die Sie gleiten? Wie fühlen sich die Handflächen auf der Haut an? Finden Sie Stellen, die Ihnen besonders angenehm sind?

Was macht ihr Atem? Atmen Sie durch den leicht geöffneten Mund vollständig aus. Dann lassen Sie frische Luft in Ihren Körper strömen. Atmen sie langsam ein und aus. Legen Sie eine Hand auf Ihr Brustbein, die andere auf den unteren Bauch. Atmen Sie ein und aus. Einatmen. Sie fühlen unter Ihren Händen, wie sich Ihr Körper beim Einatmen mit Luft füllt. Wie sich der Oberkörper ausweitet und der Bauchraum entspannt. Ausatmen. Sie fühlen wie Ihr Oberkörper und Bauch sich etwas zusammenziehen. Lassen Sie sich Zeit.

Sie können das entspannende Atmen mit den Berührungen verbinden. Atmen Sie tief und regelmäßig und gleiten gleichzeitig mit Ihren Händen über Ihren Körper. Spüren Sie, dass Sie im Laufe der Zeit immer leichter entspannen? Je länger Sie dabei bleiben, desto offener und entspannter wird Ihr Atem fließen.

Berühren Sie auch Ihr Geschlechtsorgan. Berühren Sie Hoden und Penis. Streichen Sie mit Ihren Handflächen darüber hinweg. Zart. So zart, dass Sie Ihre Handflächen kaum spüren. Probieren Sie aus, gleichzeitig tief weiter zu atmen.

Wie fühlt sich das an? Holen Sie bitte ein wenig Öl aus der Küche oder nehmen Babyöl oder Gleitgel und geben es auf ihre Hände. Wenn Sie nun Ihr Geschlecht berühren, gibt es einen Unterschied zu vorher? Erkunden Sie Ihr Geschlechtsorgan, die Hoden, den Penis, die Eichel, auch die Innenseite der Oberschenkel in aller Ruhe. Wie fühlt es sich an, wenn sie streicheln, massieren, berühren, stimulieren?

Für viele Männer ist es selbstverständlich, den Penis in die Hand zu nehmen und zügig zu stimulieren. Eine behutsame, sensible Berührung erfährt er manchmal gar nicht. Das soll sich jetzt ändern, denn Sie möchten ja Selbst-Regulation lernen. Selbst-Regulation bedeutet: Sie sind in der Lage, Ihre Erregung bewusst zu steuern. Sie lernen zu spüren, wann genug Strom auf der Platte ist, um das Wasser sieden zu lassen, jedoch ohne dass der Deckel dabei scheppert. Das braucht Übung und Aufmerksamkeit. Aber irgendwann weiß „Mann“ genau, wie er dabei vorgeht.  Dafür ist es wichtig, diese Übung über einen längeren Zeitraum zu machen und sich kennenzulernen.

Für diese Zeit spreche ich ein Pornoverbot – sowohl für Filme als auch für Magazine – aus, zum Beispiel für die nächsten drei Monate. Denn Sie wollen sich ja Ihrem Körper nähern und viel mehr Kontrolle aufbauen. Das geht mit Pornokonsum ganz und gar nicht. Denn Porno bedeutet, dass man sich gerade nicht um seinen Körper kümmert, sondern die Erregung nur durch die Augen, den Seh-Sinn, lawinenartig vermittelt bekommt. Die Haut, der Tast-Sinn, die damit verbundenen tiefen, inneren Empfindungen bleiben komplett ausgeschaltet.

Sie und Ihr Geschlechtsorgan wollen sich ja aneinander gewöhnen. Sich immer besser kennenlernen. Ein gutes Team werden. Sich gut spüren können. Nutzen Sie lieber Fantasien, das kann Ihnen eine ganz neue Welt eröffnen. Stimulieren Sie sich auch mal mit der anderen Hand. Spielen Sie mit sich selbst. Fühlen Sie die leichten tastenden Fingerkuppen auf Ihrer Eichel? Um Ihre Eichel herum?

Massieren Sie Ihre Hoden. Leicht oder fester? Was mögen Sie? Probieren Sie aus, mit sich selbst zu spielen. Nehmen Sie dazwischen immer wieder Ihren Körper dazu. Gleiten Sie mit den Handflächen über den Bauch, die Innenseite der Oberschenkel, die Seiten Ihres Körpers. Was spüren Sie wo?

Finden Sie es langweilig und vermissen den üblichen Ablauf mit Pornografie? Kann sein. Das kann zu Anfang so übel sein wie Rauchen-Entwöhnung. Ich wünsche Ihnen Kraft, denn es geht ja um etwas Wichtiges. Um ihre sexuelle Freude zu zweit. Ihr Leben lang.

Gleiten Sie mit ihren Handflächen über den Penis. Eine Hand nach der anderen. Der Penis liegt dabei auf dem Bauch, oder nach Osten oder Westen gerichtet. Oder auch nach Norden gerichtet. Wie fühlt sich das an? Gibt es einen Unterschied zwischen den Himmelsrichtungen? Drücken Sie Ihr Geschlecht zwischen zwei Fingern von unten nach oben, von oben nach unten. Wie fühlt sich das an? Welcher Druck, welche Stelle ist besonders angenehm? Stimulieren Sie sich. Fühlen Sie Ihre Erregung? Wo ist Ihre Erregung auf einer Skala von null bis zehn? Bei null? Falls das so sein sollte, lassen Sie sich Zeit. Alles ist noch sehr neu. Sie vermissen vielleicht das gewohnte Programm. Weiter geht’s.

Senken Sie alle Fingerkuppen einer Hand auf die Eichel. Öffnen Sie die Finger, nehmen die Eichel dazwischen. Massieren Sie behutsam und mit sehr leichtem Druck. Bitte beziehen Sie nun den Rand unterhalb der Eichel in die Berührung ein. Gleiten Sie mit den Fingerkuppen unter den Rand. Welche Berührung fühlt sich gut an? Hin und her gleiten oder über den Rand hoch und runter gleiten? Entdecken Sie auch das Frenulum. An der Unterseite der Eichel ist die Vorhaut durch das Vorhautbändchen (Frenulum) an der Eichel befestigt. Massieren Sie sehr sanft in kleinen Kreisen über das Frenulum. Wie fühlt sich das an? Der nächste Griff heißt „Orangen pressen“. Halten Sie dazu den Stamm ihres Penis mit einer Hand fest. Fügen sie alle Fingerkuppen der anderen Hand zusammen. Setzen sie diese auf die Eichel. Machen Sie Ihre Finger steif. Öffnen Sie die Fingerkuppen einen Spalt und gleiten mit Druck der Finger über die Eichel mit einer drehenden Bewegung den Stamm hinunter. Und wieder hinaufdrehen. Und wieder hinunterdrehen. So als würden Sie eine Orange auspressen. Was fühlen Sie?

Was fällt Ihnen noch ein, um sich selbst zu verwöhnen? Welche Griffe, Streicheln, Druckmöglichkeiten der Fingerkuppen, der Finger, der ganzen Hand, beider Hände, zart oder fester, fallen Ihnen ein, um neue, verschiedene Wahrnehmungen auszuprobieren? Um sich und Ihr Geschlechtsorgan besser kennenzulernen.
Was ist angenehm? Was weniger? Was ist erregend? Nur so werden Sie ein gutes Team!

Stimulieren Sie sich, so wie Sie es gerne mögen, und achten Sie dabei weiter auf die Skala null bis zehn. Probieren Sie aus, alle Punkte genau anzusteuern. Wann sind Sie auf vier? Wie fühlt sich Stufe acht an? Kommen Sie von acht ohne weiteres zurück auf sieben? Wie kommen Sie zurück zur sieben? Indem Sie kurz stoppen? Oder langsamer werden? Probieren Sie aus, die acht genau ansteuern zu können. Was macht Ihr Körper? Ihre Muskelspannung? Ihr Atem? Werden Ihre Muskeln im Bauchraum fest? Spannen Sie vielleicht auch Po und Oberschenkel an? Lassen Sie los! Atmen Sie tief. Atmen Sie noch tiefer aus. Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit in Ihren eigenen Körper. Wie fühlt er sich an? Was mag er? Wie reagiert er?

Stellen Sie bitte die Füße auf, sodass ihre Knie circa schulterbreit auseinander stehen. Schaukeln Sie nun langsam das Becken vor und zurück. Wie eine langsame Penetrationsbewegung. Das Schambein gleitet dabei Richtung Nabel. Falls Ihnen das schon gelingt, können Sie versuchen, dabei auszuatmen. Wenn Sie das Schambein wieder senken, einzuatmen. Lassen Sie alles los dabei. Den Bauch, den Po. Nur schaukeln und atmen. Sie trainieren damit Ihre Flexibilität und die gute Durchblutung Ihres Beckenbodens und Ihres Geschlechtsorganes. Das sozusagen von innen ganz automatisch während des Ausatmens etwas angespannt wird und beim Einatmen vollkommen losgelassen wird. Sie trainieren damit Ihre Selbst-Regulation. Sie bekommen in diesem Moment viel mehr Gefühl für sich selbst. Nehmen Sie nun Ihren Penis in die Hand und schaukeln Sie weiter. Der Penis penetriert in die leicht geschlossene Handfläche. Sie spüren die Reibung beim Eindringen und beim Herausgleiten. Spüren ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Ejakulationskontrolle. Ihre sinnliche Wahrnehmung anschalten. Was fühlen Sie ganz genau?

Können Sie auf der Skala der neun noch näherkommen? Um den „Point of no Return“ noch besser zu spüren? Das ist die Schwelle, unterhalb derer man die Ejakulation noch stoppen könnte, aber einen Millimeter darüber schon nicht mehr. Ist die Schwelle überschritten, läuft der Ejakulationsvorgang im Körper ab. Ganz wichtig: genießen Sie ihn! Genießen Sie Ihren Orgasmus! Um diese Schwelle immer besser kennenzulernen, dürfen – oder besser müssen – Sie mit der Zeit auch immer dichter dran.

Wie lange dauert es, die Selbst-Regulierung zu lernen? Lange! Ja, das ist so. Es gibt leider keine Abkürzung. Denn der wunderbare Körper braucht Zeit und Wiederholungen, um Neues zu lernen und zu integrieren. Er will die Erfahrungen wieder und wieder von Neuem machen, um sie dauerhaft abspeichern zu können. Das ist so wie bei allen anderen Trainings auch. Wollen Sie eine Stunde am Stück joggen können, müssen Sie das auch ziemlich lange trainieren, wenn Sie Anfänger sind. Wenn Sie jeden Tag einen ganzen Monat lang 30 ganze Minuten üben, ist danach Ihr Körpergefühl ein anderes. Ich würde Ihnen empfehlen, bei jeder Selbstbefriedigung damit zu spielen. Holen Sie Ihre Erregung hoch, und fahren Sie sie wieder eine Etage runter. Wie mit einem Aufzug. Versuchen Sie, immer selbstverständlicher auf Ihren Körper zu hören, ihn immer angenehmer zu SPÜREN.

Und wie ist das nun, wenn ich mit einer Frau zusammen bin, könnten Sie fragen, da bin ich doch immer noch viel zu nervös. Das ist die nächste Übungsstufe ...

Die Kooperation in der Partnerschaft

(Der Artikel ist meinem Buch entnommen: Endlich guter Sex (2021), Seiten 60-66)

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