Vorzeitige Ejakulation – »Hilfe, ich komme viel zu schnell«. Wenn der Körper schneller ist als der Wille
Elias (23) „Ich komme viel zu schnell, schon kurz nach dem Eindringen. Der Sex klappt überhaupt nicht. Für mich ist das sehr beschämend und es macht mich fertig. Ich komme mir vor wie ein unfähiger kleiner Junge. Sie sagt, ich soll mich beruhigen, das wird schon. Aber ich weiß, dass sie gar nichts davon hat und das macht mich verrückt. Ich versuche so sehr, mich zurückzuhalten. Mein ganzer Körper ist angespannt. Ich versuche so sehr, mich zu kontrollieren, es klappt einfach nicht. Und ich bin danach immer so wütend. Über mich selbst. Wir streiten uns ständig über den Sex, meine Freundin und ich. Ich glaube, wir werden uns bald trennen. Kann ich jemals eine Frau befriedigen? Was bedeutet das für mein Leben? Werde ich immer allein bleiben?“
Milan (37) „Am Anfang unserer Ehe war alles in Ordnung. Ich kam zwar schnell, aber ich konnte zwei, drei Mal hintereinander. Das hat ausgereicht, um ihr ab und zu einen Orgasmus zu bescheren. Wir wollten Kinder, hatten sehr oft Sex. Nun haben wir Kinder und so gut wie keinen Sex mehr. Ich bin abgeschrieben und nur noch der liebe Papa. Wenn wir alle paar Monate mal Sex haben, dann komme ich sofort. Ich dringe ein und komme. Ich habe zu lange auf den Sex gewartet und kann es nicht länger anhalten. Sie ist dabei sehr passiv und lässt es über sich ergehen. Über das Thema sprechen können wir nicht. Sie sagt, für sie sei alles in Ordnung. Wenn ich öfter wolle, könne ich doch öfter. Aber ich will ja, dass auch sie den Sex genießt. Ich will ein schönes Spiel zu zweit. Spreche ich von Paartherapie, dann reagiert sie gereizt. Ich fühle mich abgeschoben und einsam. Soll das alles gewesen sein, sexuell gesehen? Ich überlege mir schon – obwohl es mir sehr schwerfällt – einmal eine Prostituierte aufzusuchen, um Druck abzulassen und meine Ehe zu retten.“
Liam (26) „Ich bin schon mal in der U-Bahn gekommen. Ohne es zu wollen. Heutzutage laufen manche Frauen ja fast nackt herum im Sommer. Ich stand in der U-Bahn, alles dicht gedrängt. Vor mir eine Frau. Ich hielt so viel Abstand, wie es mir möglich war, also vielleicht 20 Zentimeter. Ich sah die nackten Schultern vor mir, die Haare, den halbnackten Rücken, roch ihre Haut. Und dann kam ich auf einmal. Ich bin so erschrocken und stieg sofort aus. Zum Glück ist mir das niemals mehr wieder passiert, aber ich halte heute auch viel mehr Abstand zu Frauen in der Öffentlichkeit.“
Für einen Mann ist das sexuelle „gut funktionieren“ von großer Bedeutung
Funktionieren heißt in dem Fall, erstens „zu können“ und zweitens die Kontrolle darüber zu haben, wann er kommt. Am liebsten dann, nachdem die Partnerin lustvoll ihren Orgasmus erreicht hat und wohlig stöhnt. Dann kann auch er loslassen und seinen Höhepunkt genießen. Und wenn das nicht so funktioniert? Wenn er wiederholt viel früher kommt, als ihm lieb ist, vielleicht schon kurz nach dem Eindringen? Oder sogar schon vorher? Für die betroffenen Männer ist es eine große Belastung, unter der ihr „Mann sein“ in der Partnerschaft, aber auch in ihrem ganzen Leben, sehr leidet. Denn sexuelle Schwierigkeiten nagen so gut wie immer sehr tief am Selbstwert des Mannes.
In der Fachsprache heißt der vorzeitige Samenerguss oder die vorzeitige Ejakulation ejaculatio praecox, kurz EP. Was passiert dabei genau? Wie fühlt sich das an? In einfachen Worten: Bei der „EP“ ist es so, dass der Orgasmus, das Ejakulieren, dem Betroffenen „einfach passiert“. Er hat darüber wenig bis keine Kontrolle und kann es keineswegs steuern. Er kann kaum spüren, wie sich die Erregung steigert, wie sich der Orgasmus allmählich aufbaut und kann die Grenze nicht erkennen, an welcher er noch stoppen bzw. verzögern könnte. Der Orgasmus macht einfach, was er will. Der Zug rast über alle Absperrungen hinweg, egal ob mit viel, wenig oder sogar keinerlei physischer Stimulation. Der Orgasmus erfolgt, aber der Genuss und die Erfüllung bleiben leider auf der Strecke.
Ein unterschätzter Leidensweg
Der chronische vorzeitige Samenerguss und sein Leidensweg werden immer noch sehr unterschätzt, auch von den Betroffenen selbst, und sind mit viel Scham verbunden. Ich habe mit zahlreichen Männern gearbeitet, die sich jahrelang nicht zum Therapeuten trauten, weil sie ja eigentlich „nichts“ haben, außer, dass sie früh kommen. Für die Sex jahrzehntelang großen Stress bedeutete und ohne Freude erledigt wurde, weil sie ihren Orgasmus nicht steuern konnten. Neuere Studien weisen darauf hin, dass es sich bei der EP um die häufigste sexuelle Funktionsstörung bei Männern im Alter zwischen 18 und 70 Jahre handelt. 20 bis 25 Prozent von ihnen seien davon betroffen, mehr oder weniger oft. Die Frage wäre also berechtigt, ob es dann noch eine Funktionsstörung ist, wenn so viele Männer betroffen sind? Oder ist es, zumindest ab und zu, nicht normaler als man denkt?
Bis vor wenigen Jahrzehnten vermuteten Sexualforscher, dass in erster Linie die Psyche schuld daran sei, wenn der Mann früher kommt, als ihm lieb ist. Will er etwa unbewusst die Partnerin bestrafen? Hat er eigentlich Angst vor Sex und will es schnell hinter sich bringen? Das wird heutzutage differenzierter gesehen. Jedenfalls geht man heute in vielen Fällen bei EP von einer Funktionsweise der Betroffenen aus, von einer Veranlagung, die in der Gesamtheit von Körper, Gehirn und nervlichem System verankert ist. Und natürlich durch die psychische Verfassung, z. B. Leistungsdruck, Angst etwas falsch zu machen, verstärkt werden kann.
Wann ist schnell zu schnell?
Vorweg eine Klarstellung: nur wenige Männer können sehr lange penetrieren. Pornos sind nicht die Realität. Der normale Mann wurde von der Natur nicht so gebaut, dass er „stundenlang kann“. Zwanzig Minuten in ständiger Bewegung und dann bewusst entscheiden, wann genau er lustvoll kommt, das ist der absolute Ausnahmefall. Dreieinhalb Minuten sind ein Durchschnitt, belegen Studien. Bei Erregung in Bewegung, vor allem in der Missionarsstellung, bei der große Muskelpartien anspannen und arbeiten, vor allem mit schnellem Rhythmus, welche die Reibung des Penis in der Vagina verstärken, ist die Steuerung am schwierigsten.
Die Ejakulation ist dann zu früh, wenn sie vor dem Eindringen, beim Eindringen, kurz nach dem Eindringen oder innerhalb der ersten Minute erfolgt. Sie ist immer dann zu früh, wenn sie weder Mann noch Frau befriedigt und als Belastung angesehen wird.
Vor einigen Tagen fand ich per Zufall in der ARTE-Mediathek einen verblüffenden Beitrag, der genau zu unserem Thema passt. In Honolulu waren von 1941-45 tausende von amerikanischen Marinesoldaten stationiert. Damit diese Soldaten, bevor sie in den Krieg zogen, noch einmal (oder überhaupt einmal) Sex haben konnten, wurden von staatlicher Seite aus Frauen angeworben, die als Prostituierte arbeiteten. Diese Frauen arbeiteten freiwillig und verdienten sehr viel Geld. Ein Besuch kostete drei Dollar, das bedeutete zehn Prozent des Monatslohns der Soldaten. Der Besuch der Frauen war sehr gut durchorganisiert, die Männer bezahlten im Voraus „an der Kasse“ und weil der Andrang so groß war, bildeten sich vor den Zimmern lange Warteschlangen. Jeder Mann hatte, sobald er drinnen war, drei (!) Minuten Zeit mit der Frau. Dass es nur drei Minuten waren, war jedoch kein Problem. Sondern gelegentlich waren die Männer so erregt, dass sie bereits in der Warteschlange ejakulierten. Das kam so oft vor, dass man auch das eingeplant und organisiert hatte. Die betroffenen Männer bekamen einen Gutschein, mit dem sie noch einmal anstehen durften.
Ursachen und Missverständnisse der vorzeitigen Ejakulation
Der Körper des Mannes wird vom Hormon Testosteron regiert, es schenkt ihm Kraft, Potenz, Libido. Gerade junge Männer weisen eine hohe Testosteron-Konzentration auf, mit zunehmendem Alter nimmt diese ab. Wenn ein Mann eine Weile keinen Sex hatte und die Testosteron-Konzentration besonders hoch ist, dann ist sein Körper noch schneller erregt, als er es normalerweise ist. Kommt die Aufregung der Unerfahrenheit hinzu, wie im Beispiel oben, dann ist es mit dem Kommen oft schnell geschehen. Hat ein Paar nur selten Sex, dann könnte es sein, dass die aufgestaute Erregung jedes Mal so groß ist, dass der Mann sich wenig kontrollieren kann. Für manche Männer reichen dafür schon ein paar Tage ohne Sex aus. Einige Männer masturbieren deshalb vorher heimlich im Badezimmer, weil sie beim zweiten Mal länger durchhalten können. Für manche Männer ist das eine gute Möglichkeit, den Geschlechtsverkehr mit der Partnerin zu verlängern. Für andere, die eine längere Erholungszeit brauchen, weniger.
Es kann also durchaus Bedingungen geben, die mit hoher Erregung und Aufregung verbunden sind, unter denen auch ganz „normale“ Männer besonders schnell kommen. Und das ist im Bereich des Normalen. Deswegen sollten bei einem Mann nicht gleich die Alarmglocken läuten. Wer ein paar Mal niesen muss, hat ja auch nicht gleich eine Erkältung. Chronische, tief verankerte EP, von der ich hier schreibe, ist allerdings ein ganz anderes Phänomen.
Kann schnelles Kommen auch von Vorteil sein?
Nicht immer wird eine zügige Ejakulation von der Frau als störend empfunden. Frauen haben unterschiedliche sexuelle Vorlieben. Manche Frauen lieben eine längere Penetration, andere jedoch weniger. Einige Frauen würden die Penetration sogar am liebsten ganz vermeiden. Dann ist ein Partner, der schnell kommt, sogar von Vorteil. Viele Frauen lieben die Stimulation der Klitoris und erreichen dadurch leicht einen Höhepunkt. Danach darf der Mann eindringen und seinen eigenen Orgasmus erreichen. Ein Mann, der dazu neigt, zügig zu kommen und eine Frau, die es bevorzugt, über die Klitoris zu kommen, haben also Chancen, sexuell gesehen, ein gutes Team zu werden. Trotzdem wünschen sich die meisten Frauen und Männer ein Mindestmaß an körperlicher und seelischer Vereinigung in Form von Penetration.
Im Tierreich ist eine zügige Ejakulation für die erfolgreiche Vermehrung oft von Vorteil. Brauchen die Tiere zu lange, könnten sie beim Sex gefressen werden. Oder das dominante Männchen könnte sie erwischen. Durch Beobachtungen fanden Forscher zum Beispiel heraus, in einer Gruppe von Gorillas lässt sich in der Regel nur das dominante Männchen viel Zeit bei der Penetration. Alle anderen Gorillas müssen den sexuellen Akt schnell durchführen, um nicht von ihm erwischt zu werden. Und wie ist das denn bei uns? Offensichtlich haben sich in der Evolution Männer, die schnell kommen, erfolgreich vermehrt, denn sonst gäbe es sie nicht. Das schnelle Kommen ist für die Befruchtung kein Nachteil. Manchmal sogar ein Vorteil, wenn das Weibchen erregt bleibt und mehrmals hintereinander ejakuliert werden kann.
Wie wir nun gesehen haben, ist nicht jedes (zu) schnelle Kommen ein Problem. EP, die vorzeitige Ejakulation, wird dann zur schweren Belastung bei Männern, wenn diese so gut wie immer gar nicht anders können.
Welche Methoden gibt es zur Behandlung von ejaculatio praecox? Das erkläre ich im nächsten Beitrag.